
Ein Ausschnitt aus der „Fellbacher Zeitung“ vom 23 Oktober 2001
Märchen vom
letzten Gedanken als Gastgeschenk im Koffer
Fellbach/Yerewan (red). „Ihr habt Euch in das
Herz Armeniens gespielt, seid im Herzen Armenier geworden - das
war die erste Reaktion nach unserer Aufführung in Yerewan“, berichtet
Theaterleiter Peter Hauser von der Reise nach Armenien. Mit ihrem Theaterstück
"Das Märchen vom letzten Gedanken" war er zusammen mit seiner Schauspielgruppe
und Edgar Hilsenrath, dem Autor, auf Initiative des "Yerevan Institute
of the Humanities", vom Kulturministerium Armenien in der Hauptstadt
zum 1700-Jahr-Feiern der Einführung des Christentums als Staatsreligion
eingeladen worden. Als offizielle Staatsgäste sollten sie das Land
bereisen, Theater spielen und eine Brücke zwischen den Völkern
bauen.
"Wir konnten die Gastfreundschaft in vollen Zügen genießen.
Uns erwartete neben zwei ausverkauften Aufführungen umfangreiche Ausflüge,
offizielle Empfänge und Diskussionen, Fernsehauftritte und Einladungen.
Wir haben ein wunderbares Land kennengelernt und Menschen getroffen, die
uns ihr Land näher brachten", erzählt Peter Hauser, der Leiter
des Polygon-Theaters.
Als Gäste des Katholikos, dem kirchlichen Oberhaupt in Edschmiatsin,
tranken sie in dessen Privaträumen Kaffee, unterhielten sich mit dessen
Vertreter über die Geschichte des ersten Völkermordes im Jahre
1915. Eine Besonderheit, weil dieses Thema noch immer nicht in der Öffentlichkeit
diskutiert werden darf, denn diese Ereignisse werden bis heute offiziell
geleugnet und nicht als das dargestellt, was sie wirklich waren. Dieser
erste Holocaust des 20. Jahrhunderts in der Türkei motivierte Edgar
Hilsenrath zu seinem Buch.
Ausgehend von den Schilderungen Franz Werfels in den "40 Tagen des
Musah Dag" begann er selbst zu recherchieren um sein „Märchen“ zu verfassen.
"Es hat mich geärgert", sagte er wörtlich, "so richtig geärgert,
dass dieser Teil der Geschichte immer noch um seine Anerkennung kämpft".
"Eine Abordnung des Katholikos war auch bei unserer Aufführung und
obwohl wir keine Übersetzung lieferten, wurde das Stück verstanden".
Dank und Geschenke wurde den Schauspielern nach der Aufführung zuteil.
Eine neuerliche Einladung für das Jahr 2002 blieb nicht aus.
Im Erdbebengebiet nach Vanadzor und Spitak, trafen die Fellbacher auf eine
sehr engagierte Theatergruppe - das Theater Bohem -, das ebenfalls Hilsenraths
Stoff bearbeitete und fast ähliche Szenen entwickelt hatte, allerdings
in anderer dramatischer Form präsentierte. Das Theater Bohem wird im
Jahr 2002 in Deutschland zu Gast bei der "Bunten Bühne" sein.
Eine gemeinsame Produktion im nächsten Jahr ist geplant.
Viele Reiseziele standen auf dem Plan: ein Bad im Sevansee, dem großen
Süßwassersee im Herzen Armeniens, ein Besuch des Klosters Chor
Virap am Fuße des Berges Ararat - dem Berg Noahs -, der sich auf türkischem
Territorium befindet und für Armenier nicht zugänglich ist und
in Tsitsernakaberd, der Schwalbenfestung, der Gedenkstätte des Völkermordes.
Ein eindrucksvolle Reise, eine Begegnung mit einem Volk, das seine Identität
aus dem Christentum gründet, seine Solidarität aus dem Genozid,
und das sehnsüchtig auf die Anerkennung des Leides, das ihm widerfahren
ist, wartet, haben die Theaterleute erlebt. "Wir waren Gäste und unser
Gastgeschenk war eine Inszenierung, die herzlich und gefühlvoll
aufgenommen wurde", sagt Peter Hauser. "Unser Dank gilt den Menschen dort
die uns reich beschenkten und den Menschen hier und dort, die uns diese
Fahrt ermöglicht haben".